
Kantine: Deutlich weniger Clubpartys, mehr Events von Firmen: Steffen Knödler krempelt den Laden im Solpark um. Damit dort Live-Musiker ihre Bühne behalten können, sucht er Partner. Von Thumilan Selvakumaran (Hoheloher Tagblatt Freitag, 7. Februar 2025)
Der Bass hämmert, der Schweiß tropft. Zu kalten Longdrinks feiern junge Gäste ausgelassen an Wochenenden auf der überfüllten Tanzfläche. Wer Spaß haben will, macht sich schick und stellt sich zuvor in die langen Schlangen vor den Clubs. Ein verlässliches Ritual für Feierwütige – freitags und samstags. Über Jahrzehnte lief das so. Das war einmal. Es ist etwas aus dem Takt geraten.
Wer heute in Discos feiern will, der stößt auf ausgedünnte Eventpläne mit kaum Öffnungstagen darauf. Sofern es den Club überhaupt noch gibt. Denn immer mehr Läden schließen – in Großstädten, wo Glastüren und Schaufenster mit OSB-Platten zugenagelt sind, aber auch in der Provinz. Das veränderte Ausgehverhalten der jungen Menschen, die oft lieber Privatpartys besuchen, hat Konsequenzen für den wirtschaftlichen Betrieb.
Nicht allein Corona Seit der Pandemie? „Das war schon ein, zwei Jahre vor Corona spürbar. Die Anzeichen waren deutlich“, meint Steffen Knödler. „Die Gäste haben das nicht direkt bemerkt. Wir schon. Ob ein Club weniger voll oder voll ist, sieht man vor allem an den Zahlen.“ Corona habe die Entwicklung aber befeuert. Bei guten Partys seien früher mehr als 1000 Besucher im
Durchlauf da gewesen. Der ehemalige Offiziersclub der US-Streitkräfte im rustikal-industriellen Charme ist eine Institution. Bereits vor der Kantine feierten dort Haller etliche Jahre lang im NCO. Seit Knödler 2012 Pächter der städtischen GWG geworden ist, ist im größten Club in Hall alles in tiefem Schwarz gestrichen. Neonlichter leuchten an den Theken hinter dem Hochprozentigen auf.
Auf etlichen Bildschirmen werden die nächsten Partys beworben. Eine obligatorische riesige Discokugel dreht sich über der Tanzfläche. Eine massive Lichtund Soundanlage wurde installiert,
das Objekt für eine sechsstellige Summe umgebaut. Jedenfalls, so Knödler, sei der Disco-Peak branchenweit seit 2018 überschritten. Kurz vor Weihnachten überraschte der Club die Szenegänger mit einem Post: „Die Kantine verändert sich ab 2025“. Den bisherigen ganzjährigen Clubbetrieb werde es nicht mehr geben. Bereits in den Sommermonaten 2024 war aufgefallen, dass nicht mehr jeden Freitag und Samstag, sondern nur alle zwei Wochen einmal geöffnet war. Auf Social Media heißt es jetzt: „Die Kantine bedankt sich für die Unterstützung bei unseren Fans und Partner, die uns auf dem Weg zur Kultur- und Veranstaltungslocation begleiten.“ Gerüchte machten sich breit: Ist es das Ende der Haller Trenddisco? Was passiert mit den rund 80 Minijobber? Und die großen Festivals auf dem Außengelände im Solpark?
Die Kantine bleibt Die Außenbühne ist jedenfalls weg, auch die restlichen Schiffscontainer sollen verkauft werden. Die Zahl der Mitarbeiter habe sich nun halbiert, weil diese sich Alternativen gesucht hätten, da sie im Club nicht mehr regelmäßig eingesetzt werden können. Knödler spricht von finanziellen Sorgen in der Branche, die es mit der Pandemie gab. Clubs bekamen zwar Kredite, die müssten aber zurückbezahlt werden. Mit sinkenden Besucherzahlen und Erlösen ein Teufelskreis. „Das wird noch viele treffen.“ Die Kantine, das betont Knödler, soll erhalten bleiben. Jene, die es nicht schafften, eine Metamorphose zu vollbringen, würden scheitern. Die Kantine reduziert daher öffentliche Veranstaltungen massiv – statt zweimal die Woche, nur noch etwa 20-mal im Jahr. Der Fokus liegt auf beliebte Labels, die sich als Publikumsmagnete erwiesen haben, etwa 90er-Partys, „Bomba Latina“, „Mums Out“ und „Big FM“, zudem bewährte Tage wie Ostern, Weihnachten und Halloween. Live-Gigs, die einst den NCOClub prägten und auch in der Kantine einen festen Platz haben, soll es weiterhin geben. Allerdings räumt Knödler ein, dass diese „schon immer querfinanziert werden mussten“. Wirtschaftlich gesehen seien das mitunter die schwächsten Tage gewesen, auch wenn die Rock-Show vom Besucherandrang „immer stabil war“. Schließlich stünden rund ein Dutzend Künstler auf der Bühne, die bezahlt werden müssen. Ein Plug&Play-DJ ist da freilich günstiger. Die Kantine sei aber wie gemacht für Livemusik – mit einer großen Bühne und davor Platz für hunderte Besucher. Dass diese möglichst erhalten bleibt, sei auch wichtig für die Musiker selbst. „Wo sollen die hier denn sonst noch spielen?“
Unterschiedliche Möglichkeiten
Der Plan Knödlers ist es, durch Funding und Sponsoren weiterhin Liveacts und kulturelle Veranstaltungen zu ermöglichen, weswegen er jetzt Kooperationspartner aus der Wirtschaft suche. Bereits seit der Eröffnung sei die Kantine als Eventlocation konzipiert gewesen, habe Firmenveranstaltungen unter anderem für Optima, Würth, Bausparkasse, HEM und Klafs gestemmt. Mit diesen und weiteren Partnern sollen zum einen vermehrt geschlossene Gesellschaften feiern können, zum anderen sollen durch Kooperationen Acts ermöglicht werden, die sich sonst nicht rechnen würden. Die Kantine biete mit dem Casino und dem großen Saal unterschiedliche Nutzungsmöglichkeiten, könne von privat, Vereinen, Firmen und Veranstaltern gemietet werden – jetzt auch an Wochenenden. „Die Nachtkultur darf nicht aussterben“, betont Knödler, auchwenn sie durch die Umstrukturierung stark eingeschränkt wurde.
Es ist seine Kritik am verpassten Willen der Politik, Betreiber mehr unter die Arme zu greifen. „Das gesellschaftliche Miteinander verbindet. Die Energie auf der Tanzfläche, wenn Besucher unterschiedlicher Nationen zusammen feiern.“ Das sei ein Ventil, ein gesellschaftliches Happening. „Ich glaube, das interessiert die Politiker gar nicht, sollte sie aber.“